15 Platten
So viele Gitarren? Wo bleiben «Blackstar» und «Lemonade», die natürlich wichtigsten und grössten Alben des Jahres? Wo die grossen Überraschungen? All das frage ich mich schon auch, aber was sicher ist: diese 15 Platten habe ich in diesem Jahr bislang am liebsten gehört.
Parquet Courts: «Human Performance» (Rough Trade)
Der Staub kommt von überall her, und über diese Tatsache, die das lässliche Haushalten erschwert, darf man schon mal einen Rocksong schreiben, zumal dann, wenn mit Andrew Savage einer der derzeit lustigsten Erzähler für die Worte zuständig ist. Dazu lässige Gitarren, schöne Velvet-Underground-Niederschläge («One Man No City»!), auch überraschend zärtliche Klänge – verpackt alles im wahrscheinlich liebevollsten Plattencover mitsamt -booklet. Jetzt aber weiter, weil: «Dust is everywhere, sweep».
Bonnie 'Prince' Billy: «Pond Scum» (Domino)
Das war die erste Musik des Jahres und noch immer geht diese Songauswahl aus verschiedenen Peel Sessions zu Herzen, weil so nahe gab es Will Oldhams Stimme schon lange nicht mehr zu hören. Und wenn er singt: «I know you take pleasure in my singing I know that only when I sing do you hear me // Cuz then I touch things I can‘t touch, I touch parts of you I can‘t really touch», dann gibts auch bei diesem Rollenspieler keinen Filter mehr. It's authentic, ha.
Jessy Lanza: «Oh No» (Hyperdub)
In der WOZ schrieb ich über dieses Album: «Was an 'Oh No' so kurios ist: Zu keiner Zeit kommen retromanische und zu Tode zitierte Gefühle aus der Mottenkiste auf, vielmehr ist da eine Zeitgenossenschaft zu Freunden wie der Teklife-Crew aus Chicago wie auch zu den Millionenstars aus der Rihanna-Liga (Lanza verehrt Rihannas «Work») zu hören. Nur dass die Songs dieser Popautorin weit privater sind als die Hits aus den Liedfabriken jener Welt. Und wer bei 'Oh No' nun von Dekonstruktion des R&B spricht, hat nicht ganz unrecht – auch weil das Album auf dem britischen Schrittmacherlabel Hyperdub erscheint. Aber das verfehlt den Punkt: Für einmal ist die Poptheorie dann eben doch langweiliger als dieses so hinreissende Album.» Und «It Means I Love You» ist natürlich bis auf weiteres der Song des Jahres.
VA: Pampa Records Vol. 1 (Pampa Records)
Die MusikerInnen des Hamburger Labels Pampa Records haben die wohl liebsten Computer dieser Welt, denn so zärtlich und persönlich und auch lustig klingt elektronische Musik für den Dancefloor selten. Das liegt natürlich an Labelmitinhaber DJ Koze, der diese Werkschau zusammengestellt hat. Das funktioniert auch Daheim grossartig, zumal dann, wenn Ada ihr «You and Me» anstimmt. Als Klammer dieser sorgfältigen Compilation dient Roman Flügels «9 Years», das als Kosi-Remix und im Original zu hören ist. Was für ein schöner Track. (Mehr Pampa gibts hier.)
DIIV: «Is the Is Are» (Captured Tracks)
Dies ist keine makellose Platte (das wäre auch langweilig), sondern vielmehr ein verworrenes Doppelalbum mit vielen grossartig sedierten (und auch frustrierenden) Gitarrenpopsongs geworden, die von der überwundenen Sucht von DIIV-Erfinder Zachary Cole Smith und der Suche nach dem Weg zurück ins Leben erzählen. Nach Triumph klingt das nie, eher nach Schmerz und dem Wissen, noch einmal knapp davon gekommen zu sein.
Open Mike Eagle & Paul White: «Hella Personal Film Festival» (Mello Music Group)
Der «Art Rap»-Erfinder spannt auf «Hella Personal Film Festival» mit dem britischen Produzenten Paul White zusammen. Entstanden ist ein locker verklebtes, grossartig unterhaltendes Album mit psychedelischem Soul-Einschlag. Open Mike Eagle klaubt scheinbare Nonsens-Zeilen wie «You put some shit in my mashed potatoes» zusammen und artikuliert Ängste und Schwächen, während eine Obama-Figur in einer Drohne durch seine Träume fliegt. Das ist lustig – und natürlich auch sehr ernst.
Fog: «For Good» (Totally Gross National Product)
Das Album ist tot, so heisst es nicht erst seit Kanye Wests «The Life of Pablo». Nun denn: Wer das erste Fog-Album seit etlichen Jahren auflegt, bleibt dran, horcht der titelgebenden Piano-Ballade gleich zu Beginn, wird weitergeschleudert durch zerrissene und labyrinthische Songs, die immer wieder Schönheit suchen, doch nie ihren Frieden finden – bis Andrew Broder (denn das ist ja eigentlich seine Soloplatte) das Schluss-Lullaby «Father Popcorn» anstimmt. Das ist nichts für nebenher oder für die zerstückelte Playlist, sondern ein Album, das viel mehr ist als «nur» die einzelnen Songs.
Dubokaj: «Alpine Dub» (Mouthwatering Records)
Spitz doch diese dubinfizierten Electronica-Tracks ein wenig zu, wollte ich Daniel Jakob alias Dubokaj zurufen, als ich mir zum ersten Mal sein Solodebüt «Alpine Dub» anhörte. Mittlerweile passt das aber ganz gut, weil diese im besten Sinne heimlifeisse und liebevoll produzierte Musik seltsam süchtig macht. Auch gut als Komplementärplatte zur Pampa-Compilation oder schöne Arbeitsmusik geeignet. Kurz, local love.
Steve Gunn: «Eyes on the Lines» (Matador)
Zum Glück habe ich dieses Album nicht ausgelassen, was beinahe passiert wäre. Was ich verpasst hätte? Eigentlich altbackene Gitarrenmusik für den Roadtrip, die hier so frisch und fantastisch gespielt wird (allein das Schlagzeug), dass das alles so passt. Und anders als die ausfransenden Alben seines ehemaligen Weggefährten Kurt Vile stimmt hier auch die Länge und die Songanzahl. Weil mehr als neun Songs brauchts nicht für eine grosse Platte.
Hintermass: «The Apple Tree» (Ghost Box)
Das schrieb ich im Frühling, doch es stimmt noch immer (minus der Einstieg): «Eigentlich wäre es höchste Zeit, tagträumend in den Wald zu gehen und zu schauen, wie die Natur erblüht, während die Vögel ihre Lieder anstimmen. Nun, die Waldpartie wurde bislang verschoben, und Schuld daran trägt nicht zuletzt 'The Apple Tree', die erste Platte des Duos Hintermass. Hinter diesem Album stecken Jon Brooks, der als The Advisory Circle retrofuturistische Klangcollagen entwirft, und Tim Felton, der auch schon mit Broadcast musiziert hat. Gemeinsam spielten sie ein Album ein, das alles für den kosmisch gestimmten Kraut-Waldschamanen – Sitar, Vogelgezwitscher, Flöten – bereithält. Vor allem aber sind auf 'The Apple Tree' schlicht wunderbare Popsongs zu hören, die von der einladenden Stimme Feltons getragen werden. Bei allem anpsychedelisiertem Wohlklang gehts dann auch ins elektronische, unwägbarere Unterholz, doch dieser schöne Noise made by people bleibt vertraut und doch verlockend. Kurz, eine sehr liebe Platte.»
Cate Le Bon: «Crab Day» (Drag City)
Eine späte Entdeckung ist für mich Cate Le Bon, die mit «Crab Day» ein so wunderbares wie seltsames Album veröffentlicht hat. Zu hören sind kantige, nervös machende Songs, gespielt in windschiefer Beefheart-Tradition, über die Le Bon in einer Seelenruhe lustige und auch niedergeschlagene Zeilen singt. Und immer wenn man meint, dass alles auseinanderfällt, dreht Le Bon einen schönen Refrain rein. Jetzt aber hurtig ihre alten Platten anhören.
VA: «Disco Mantras» (Mood Hut)
Panda Bear brachte mich zum kanadischen Kollektiv Mood Hut, über das ich auch nach dieser Compilation nicht viel weiss (wer weiss das schon...) Ausser dass diese reichlich verwaschene Musik, die mit Dub, Afrobeat und Psychedelik spielt, nicht für den Dancefloor geeignet ist, sondern eher für die Stunden des Sonnenaufgangs oder den Sonnenuntergang. Bzw: für den Endless Summer. Jedenfalls: Diese Platte lege ich immer wieder auf.
Animal Collective: «Painting With» (Domino)
Speaking of Panda Bear: Das Animal Collective hat im Frühjahr ein neues Album veröffentlicht. Und dieses stiess auf eine so heftige Ablehnung, die ich mir noch immer nicht erklären kann. Weil für einmal ist das ein unbeschwertes, einfaches Album, das eine kindliche und ansteckende Freude am Erfinden von neuer Popmusik ausstrahlt. Und das ist nicht wenig, zumal da Songs wie «Hocus Pocus» oder «Burglars» sind, die mich durch das Jahr tragen. Immer wieder.
This Heat (Reissues, Light in the Attic)
Viel unsinniges wird wieder aufgelegt, doch die drei Platten von This Heat, die im Frühjahr wieder erschienen sind, die scheinen mir essentiell. Vom selbstbetitelten Debüt über die EP «Health and Efficiency» bis zum letzten Album «Deceit» ist hier eine Band zu entdecken, die über das Experiment mit Kassettenspulen, Aufnahmetechniken und Noise allmählich zum Song fand. Und natürlich dräut im Hintergrund ein drohender Atomkrieg, aber 2016 scheint ja auch nicht freundlicher als 1981, als ihr letztes Werk erschienen ist. Nicht zuletzt deshalb: Dies ist aktuelle Musik, frei und doch konzentriert, wohldurchdacht und doch offen, kurz: eine Musik gegen das Bequeme, das Neoliberale und die Isolation. Noch kürzer: Pflichtstoff.
Chris Cohen: «As If Apart» (Captured Tracks)
Eigentlich müsste dieses Album mit allen möglichen und unmöglichen Superlativen eingedeckt werden. Denn «As If Apart» ist die bislang schönste, liebste und zeitloseste Platte des Jahres, keine Frage. Doch diese Etiketten wären viel zu laut für die 10 Lieder, die der ehemalige Deerhoof-Gitarrist Chris Cohen für sein zweites Album im Alleingang eingespielt hat. Es sind Songs, die von einer linden, anpsychedelisierten Westcoast-Melancholie durchweht sind, Songs, die natürlich nicht in die Zukunft weisen, sondern sanft Abschied nehmen – von lieben Personen, die nun nicht mehr da sind. All das wirkt zunächst fast allzu vertraut, allzu beiläufig, wenn da nicht die eleganten Tricks und Drehs wären, die das scheinbar Schwerelose und auch Glückliche in Richtung Niedergeschlagenheit steuern. Ein Album für immer.
Beitragsbild: HMV getcloser (Flickr)