33 Jahresplatten Vol. 3

Bildschirmfoto-2017-12-07-um-22.24.07 Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

Vielleicht ergibt das huere keh Sinn, dennoch hier: Die letzten Jahresplatten, ergänzt mit einigen Worten.

Sophia Kennedy: «Sophia Kennedy»

Sind alle Popsongs schon geschrieben? Und hat sich die Popmusik bereits zu Tode rezykliert, wie dies die zurecht breit rezipierte und längst zu Tode zitierte «Retromania»-These von Simon Reynolds besagt? Nein und wieder nein, denn es gibt beispielsweise eine Künstlerin wie Sophia Kennedy. «Ich will das Traditionelle an die Grenze bringen, an der es extrem wird», sagt sie zu ihrem Songwriting. Und fügt an: «Man darf einfach keine Angst haben, dass Pop daraus wird». Pop bedeutet bei der Wahlhamburgerin kein supercleveres Spiel der Song-Dekonstruktion, denn bei allen begeisternden Abzweigungen, die sie mit Streichern, Klavier und einigen bösen Bässen nimmt, bleiben die Melodien von Kammerpopsongs mit Clubzugang hängen. Als ich im Frühling kurz in Hamburg war, bin ich dieser so bestimmten wie träumenden Popmusik immer wieder begegnet – und bin beglückt stehengeblieben.

Sophia Kennedy Album Cover300dpi-e1492686304730 Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

Equiknoxx Music: «Colón Man»

Das Jahr begann mit dem Nachhören von «Bird Sound Power», der Compilation, auf der zu erleben war, wie Gavin «Gavsborg» Blair und Jordan «Time Cow» Chung und ihnen zugewandte Produzenten an der Dancehall-Zukunft bauen. Vogelgezwitscher, Ace-of-Base-Beats, gängige Dancehallsounds und andere Noises gaben den Ton des Jahres vor, den sie auf ihrem eigentlichen Debüt «Colón Man» weiter erforschen. Wer es eilig hat, spielt einfach «Enter a Raffle... Win a Falafel» an, ansonsten: einfach durchhören, weil dieses Album, das zurrt einen vor dem Soundsystem fest.

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Kendrick Lamar: «DAMN.»

«To Pimp a Butterfly» war mir fast zu meisterwerkig und zu wichtig, um mich wirklich zu berühre (ja, ich weiss, das darf kein Kritikpunkt sein). Weit existenzieller und dringender fühlt sich für mich aber «DAMN.» an, ein Album, auf dem Lamar dermassen auf dem Punkt ist, dass selbst Bono nicht ins Gewicht fällt.

Kendrick-Lamar-DAMN-album-cover-featured-827x620 Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

Mount Eerie: «A Crow Looked at Me»

Ich war lange nicht bereit für dieses Album, ja, man kann es eigentlich gar nie sein. Denn wie Phil Elverum hier den Krebstod seiner Frau zu verarbeiten versucht, welche Schmerzen es ihm bereitet und welche Verheerung der Verlust bei ihm hinterlassen hat, ist selbst für den entfernten Zuhörer beinahe körperlich spürbar. Pathos und Trost gibts hier keinen, denn: «When real death enters the house, all poetry is dumb». Was bleibt, ist unermessliche Trauer, und die Worte: «I love you.»

a-crow-mount-eerie Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

VA: «Mono No Aware»

Das schrieb ich bereits im Sommer, bei den Halbjahresplatten: «Kann es weitergehen? Und wenn ja, wie? Vielleicht mit dieser raumfüllenden Ambient-Compilation, herausgegeben von PAN. Die nicht ganz leisen Tracks fliessen ineinander, zwingen zum Innehalten, verbreiten Stille und unheimeln auch.» Was nun aber sicher ist: «Mono No Aware» ist die Platte mit dem Cover des Jahres.

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Perfume Genius: «No Shape»

«Too Bright» war brutal und dämonisch. «No Shape» fühlte sich im Vergleich zunächst fast allzu plüschig an. Der erste Schein trügt aber, denn der Ex-Junkie Mike Hadreas misstraut dem Frieden, dem Glück, das er in der häuslichen «otherside» gefunden hat, und davon erzählt das im Frühling erschienene «No Shape», auf dem er in die verschiedensten Rollen schlüpft. Mal gibt er den Prince im prekären Funk von «Go Ahead», den zärtlichen Crooner in der Schlafzimmerballade «Valley», und den grossen, stets absturzgefährdeten Romantiker, der mit seinem kranken Körper durch üppig orchestrierte Arrangements tanzt. Und wenn er dann am Schluss des Albums friedlich mit seinem Lebenspartner und musikalischen Gefährten Alan im Bett liegt und feststellt, dass er tatsächlich «hier» und geborgen ist, singt er lang gezogen: «How weird». Die Dämonen, die ihm das private Glück und ein normales Leben auf dieser eigentlich ganz normalen und ja, auch spiessigen «otherside» missgönnen, sind wieder ganz nah.

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Klein: «Tommy»

Die verwirrendsten 24 Minuten Musik des Jahres? Sind wohl auf dieser EP von Klein zu finden, die auf ihrem Hyperdub-Debüt alles durch den Glitchy-Fleischwolf dreht: Mariah Carey, Supernoises, Junglegesprenkel, Clusterklaviere, Field Recordings etc. Kurz: Sounds, chopped und screwed, hin zu einer Musik, die das Hirn versengen kann, und mich in den Bann zieht.

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Björk: «Utopia»

Björk flötelt wieder, ja, es sind gar Flötenensembles zu hören auf «Utopia», einem Album, das nach der Höllenplatte «Vulnicura» wieder hell ausgefallen ist und in die Zukunft weist. Dennoch fühle ich mich durch die Soundkollisionen, die sie gemeinsam mit Arca produziert hat und selten bis nie Popsongstrukturen annehmen, am ehesten an ihr Meisterstück «Homogenic» erinnert. Weil: «All is full of love» hier, und aber auch: sehr beseelt. Endlich wieder.

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Hand Habits: «Wildly Idle (Humble Before the Void)»

Meg Duffys «Wildly Idle (Humble Before the Void)» war meine erste Lieblingsplatte des Jahres, weil sie hier traumähnliche Songs versammelt, die vom wohligen Alleinsein zeugen. Das klingt schon auch abgekapselt, aber nicht nur. Ideale Hausmusik, zu der Kevin Morby schreibt: «It hits soft, like warm water, and before you know it it is all around you – a bath, and Meg's whisper has made its way inside you.»

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Grizzly Bear: «Painted Ruins»

Ich meinte schon, dass mir Grizzly Bear im Jahr 2017 herzlich egal sein werden. Doch mit «Painted Ruins» lernte ich eine langjährige Lieblingsband wieder neu lieben. Wie Ed Droste, Daniel Rossen, Chris Taylor und Chris Bear in diesen Songs als Band zusammen spielen, zusammen singen und in den Songs immer neue Räume öffnen, bleibt eine Offenbarung. Auch nach hundertfachem Hören.

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Jeans for Jesus: «P R O»

Zum Schluss: Das Album, mit dem ich dieses Jahr mit Abstand die meiste Zeit verbracht habe (und zu dem ich am meisten geschrieben habe). Und auch das Album, das mich mit am meisten berührt hat, immer noch zum Lachen bringt und ganz viele andere Produktionen verblassen lässt. War da was von «Gefühlskälte»? Und wiso hei die ds buech vrbrönnt? Und ist «Dr letscht Popsong» wirklich der letzte Popsong? Was zumindest für mich keine Frage ist: «P R O» ist das Popalbum des Jahres.

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Alle Jahresplatten gibts hier – und falls nichts dazwischen kommt, folgen nächste Woche die Jahressongs. Bis dahin verweise ich auf das Popletterabo, mit immer neuen Platten-, Konzert- und Lesehinweisen.

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