33 Jahresplatten Vol. 1
Es ist diese Zeit des Jahres, in dem ich den Plattenschrank sortiere, und Musik rausziehe, an die ich mich gerne erinnern werde. Zum Start: Elf von dreiunddreissig ungeordneten Alben, die mir sehr lieb sind – und noch immer ihre Runden drehen.
Laurel Halo: «Dust»
Laurel Halo stieg für dieses knoten- und schlaufendrehende Album des Jahres in ein Labor, wo sie an neuen Popsongmöglichkeiten rumforschte. «Jelly» bleibt auch nach dem hundersten Anhören unabsehbar, und «Do U Ever Happen» eine der Balladen, die bleiben werden. (Und «Moontalk» gibts ja auch noch.) Zwischen den Songs: Forschungen an Sounds und Formen, die vor diesem Album noch nicht bekannt waren. Anders: «Es gibt Technoelemente und konkrete Poesie zu hören, verirrte Bläser und Perkussion und immer viel Raum, in dem sich verlieren kann, wer will. Doch bei allen Freiheiten und Schwerelosigkeiten und Risiken, die sich diese Musik nimmt, ist 'Dust' nie auch nur unentschieden, sondern eine Platte, die bei aller Offenheit doch sehr konzentriert gebaut ist. Vielleicht ist es dieses Genaue im Alles-Offenen und Abwegigen, was 'Dust' und diese Künstlerin ausmacht.»
Tyler, The Creator: «Flower Boy»
«Who dat boy»?, fragte Tyler, The Creator auf «Flower Boy», von dem ich dachte, dass dies kein Mensch brauchte, weil sich der Urheber in der Vergangenheit einige Male unmöglich gemacht hat. Doch dann: Diese Songs voller Loneliness, diese Stimme auch, die nun nicht mehr untragbar über «faggots» rappte, sondern ein verletzliches Album durchzieht, das man schon mit «Blonde» parallel hören kann (natürlich auch, weil Frank Ocean mitsingt.) Wie es weitergehen wird?
Papiro: «Automare»
Durch den Äther mit Papiro und seiner kosmischen Musik, die noch nie so direkt geklungen hat wie auf diesem Album feat. der 20-minütigen Eröffnung, dem immer noch umwerfenden Titelstück und dem Warp-Level-Schluss. Kurz, I hear a new world.
(Sandy) Alex G: «Rocket»
«Now I know everything», singt einer, der ziemlich abgelöscht, aber noch nicht lebensmüde klingt, während die akustische Gitarre und die Fiedel fröhlich und schön verdreht aufspielen. So verdreht, dass schnell klar wird: Wir haben es mit einem Trickser zu tun, der in der Indie-Highschool sehr gut aufgepasst hat. Der Trickser heisst bürgerlich Alex Giannascoli, wurde 1993 in einem Vorort von Philadelphia geboren und hat bereits sieben Alben veröffentlicht. Auf seiner im Frühling erschienenen Platte «Rocket» ist zu hören, warum der Hype um diesen Heimbastler, der fast alle Instrumente selber einspielt und auch auf Frank Oceans «Blonde» zu hören war, berechtigt ist: In vierzig Minuten surft (Sandy) Alex G sanft mit den verlorenen Seelen von Elliott Smith und Mark Linkous alias Sparklehorse, dreht rüber in den roten Noise-Bereich und mauert sich dort ein, sodass man sich um diesen jungen Mann schon mal Sorgen machen kann. Doch er findet zurück zu bewegenden kleinen Songs, die keine falsche Authentizität vorgaukeln und bei allen Reverenzen auch keine Indie-Klischees wiederkäuen. Denn Alex G ist kein kräftiger Alleswisser, sondern einer, der selbst dann verletzlich klingt, wenn er mit einer Roboterstimme singt: «I don’t wanna live long, just strong».
Actress: «A Z D»
Da ist ein Engel in der Dusche oder auch im Club, den ich in diesem Jahr doch wieder nie aufgesucht habe, bzw.: «A Z D» ist ein Album, das einen weiten erzählerischen Bogen spannt, von Ravenostalgie, vom Tanz im Rauch und natürlich auch von Drogen berichtet, und bei aller Drastik und Nostalgie ein helles Ende findet.
St. Vincent: «Masseduction»
Annie Clarke war mir immer too much. Und natürlich ist auf «Masseduction» noch immer alles zu viel, fliegt in Richtung Overkill, doch das Popherz dieser Musikerin ist endlich hörbar und rührt gerade in Songs wie «New York» oder dem traurigen Geburtstagslied für Johnny zu Tränen. Davor: Die Killerdisco von «Los Ageless». Danach: Die «Slow Disco», die einem den Rest gibt.
Shannon Lay: «Living Water»
«Come on, shake your broken shoulders», beispielsweise zu diesen Songs von Shannon Lay, die vertraut und doch unverbraucht klingen und mich immer wieder berühren. Come together!
Denis Mpunga & Paul K.: «Criola»
Future Shock mit Musik aus der Vergangenheit, die unheimlich verwirrt und grossartig beglückt (und die ich ohne Plattenladen nicht gefunden hätte).
Golden Teacher: «No Luscious Life»
Diese Band aus der Optimo-Stadt Glasgow spielte zwar vor einigen Jahren bereits an der Kilbi, doch ich habe sie glorios verpasst. Das wird mir nie mehr passieren, denn Golden Teachers Album lockt auf einen Dancefloor, in dem alle Lieblingsbausteine zu fiebrigen Tracks neu verbastelt werden. Vielleicht eben doch: das «luscious» Leben.
Alois: «Mints»
Alois ist eine Band. Eine, die Gitarrenpopsongs spielt, die nicht grell scheinen, sondern melancholisch schimmern und dann doch einige Abzweigungen mehr nehmen, als zunächst angenommen. Kurz, «Mints» war eine schöne Begleitung im vergangenen goldenen Herbst.
Richard Dawson: «Peasant»
Der «vile stuff» kommt auf Richard Dawsons aktueller Platte in mittelalterlicher Ritterrüstung daher. «It's music that rewards attention, to its detailing, to its textures, but it's also beautiful and stirring and moving. It's just, well, not pop music», schrieb der «Quietus», der «Peasant» eben zum Album des Jahres wählte. Und es ist Musik, die ich noch immer nicht dechiffriert habe, über die ich aber weiss: So aufmerksam höre ich selten zu. Denn wie Richard Dawson seine Geschichten erzählt und wie er seine Gitarre spielt, bleibt atemberaubend.