Nadja Zela: «Immaterial World»
Nadja Zela veröffentlichte im Frühling ihr Album «Immaterial World». Ein Album, das von einer postkapitalistischen Welt träumt – in der Liebe, Zusammenhalt und Frieden wieder wichtig sind. Nun spielt Zela mit ihrer Band am Gartenfestival des Café Kairo in Bern.
Ein Banjo zupft ein repetitives Muster, die Band setzt mit einem bestimmten, akzentuierten Spiel ein, während die Protagonistin durch den mit blauem Industrielicht ausgeleuchteten Gang schreitet – und näher kommt. Sie hat eine elektrische Gitarre, Marke Gretsch, umgehängt und als sie ankommt am Ende des langen Korridors, singt sie nur die Worte: «I’m still alive.»
Die «Überlebende», die diese Zeile nicht ohne Trotz intoniert, ist Nadja Zela, die immer noch da ist und seit über zwei Jahrzehnten eine markante weibliche Stimme in der Schweizer Rocklandschaft ist. Erst waren da Bands wie The Whooshings oder Rosebud, später dann Fifty Foot Mama. Ab 2009 veröffentlicht Zela nur noch unter eigenem Namen. Immer war die 44-jährige Zürcherin da, doch nie mittendrin. Denn dazu sind ihre Musik und ihre Stimme zu eigensinnig und unverkennbar. Und vor allem: Zela lässt sich nicht vereinnahmen. Wenn es zu bequem wird, dann bricht sie auf – und geht weiter.
«Immaterial World» ist ihr viertes Album. Sie hat es mit einer neuen, rockigeren Band eingespielt – mit Martin Fischer am Schlagzeug, Michel Lehner am Bass, Nico Feer an Gitarre und Bruder Rico Zela an Orgel und Oboe. Mitproduziert wurde es von Mama-Rosin-Mitglied Robin Girod. «Ich hatte einfach plötzlich wieder dieses Lechzen nach einer Rockband», schreibt sie. Denn ihr wurde es «zu Comfort-Zone-mässig» mit der vorherigen jazzigen Formation. «Ich mag es einfach nicht, wenn eine Szene mich für sich beansprucht. Ich bin doch nicht Blues! Ich bin auch nicht Rock oder Folk! Ich will Zela sein, irgendwas zwischen Bowie, Sister Rosetta Tharpe und Cheyenne aus ‘Spiel mir das Lied vom Tod’», so Zela.
Das Album beginnt mit einem stillen «Prelude». «We are the children of the old world», singt Zela, nur begleitet von ihrem Gitarrenspiel. Sie meint mit dieser Zeile vor allem ihre Generation der «Golden Age Kids in Europa» – «die aufgeklärte, prosperierende, kolonialisierende, missionierende alte Welt.» Eine Welt, die wie der Kapitalismus ihrer Meinung nach ausgedient habe. Die «Immaterial World», die Zela in zwölf Songs besingt, empfindet sie «als eine Art kollektive Ahnung von einer seelischen Verbundenheit der Menschen in ihrem Bestreben nach Liebe, Zusammenhalt und Frieden.» Dies sei nicht religiös oder esoterisch motiviert, sondern rein emotional zu verstehen.
Und so klingt denn auch «Immaterial World», das versucht, aufzubrechen in diese neue, bessere Welt – und es aber nicht immer schafft, die Gegenwart und Vergangenheit zu überwinden. Weil: Die Verletzungen, das Elend und Ungerechtigkeiten der momentanen Gesellschaft, sie geben den Ton mit an, beispielsweise im schroffen «I’m Still Alive» – einem der Schlüsselsongs der Platte – oder gleich darauf in «Break Every Bone». Und selbst wenn die Band ausgelassen aufspielt wie in «Sunday Morning» fühlt sich die Sängerin allein. Aber: «I try to carry on», weil es muss weitergehen, irgendwie.
Es gibt aber auch Hoffnung, und Aufrufe zu mehr Solidarität wie im grossartigen «Mercy on the Weak», in dem Zela und ihre Band eine entspannte und doch dringliche Gospelspielart entwerfen. Überhaupt: Diese Band folgt Zela und ihrer Stimme überallhin – sei es im Reggae «Level Off Level Out» oder im abschliessenden und tröstenden «Homeless Son» – und es ist zu hören, dass hier etwas gemeinsames entstanden ist, das mehr ist als nur eine weitere beeindruckende Soloplatte. Denn es ist so (und da darf man schon mal pathetisch werden, etwas, das dieses Album zu keiner Zeit ist): Nur gemeinsam ist sie zu erreichen, diese «Immaterial World».
Nadja Zela: «Immaterial World» (Patient Records/Irascible)
Konzert: Fr, 15.7., Gartenfestival, Café Kairo
Foto: Niklaus Spoerri
Dieser Artikel wurde zuerst auf dem mittlerweile eingestellten Blog Swiss Vibes publiziert.