Jim O'Rourke: «Simple Songs»
Das Abenteuer findet anderswo statt: Jim O’Rourke hat sich mit «Simple Songs» – seinem ersten Songalbum seit 14 Jahren – zu einem Hüter der Popklassik entwickelt.
Wenn einer der einflussreichen popmusikalischen Schattenmänner sein erstes Songalbum seit 14 Jahren ankündigt, dann dürfen die Erwartungen schon mal gross sein. Zumal dann, wenn der Schattenmann Jim O’Rourke heisst und das Vorgängeralbum «Insignificance» ist; ein Album, das 2001 aufzeigte, dass im klassischen Songformat noch vieles möglich ist – mit Ausweitungen, die selbstverständlich wirkten, mit widerborstigen Noises und auch mit grosser Spielfreude. «Insignificance», sein damals drittes Album für das Chicagoer Label Drag City, erschien noch vor Wilcos «Yankee Hotel Foxtrot», das O’Rourke mitproduzierte und vor Sonic Youths «Murray Street», das er als damals festes Bandmitglied mitprägte. In der Folge kappte O’Rourke nach und nach die Verbindungen zu Chicago und New York und siedelte über nach Tokyo. Mittlerweile ist er dort Teil der Improvisations-Szene und veröffentlicht immer wieder Musik mit alten Freunden wie Christian Fennesz.
Nun, sechs Jahre nach seiner letzten Halb-Pop-Platte «The Visitor», ein wortloses Stück des Einmann-Orchesters O’Rourke, gibts nun «Simple Songs». Acht dieser simplen Lieder sind auf dem Album enthalten, wobei es natürlich ganz und gar nicht einfach ist mit diesen neuen Songs, die O’Rourke mit japanischen Musikern eingespielt hat. Denn entstanden ist eine Platte, die im ersten Hördurchgang erstaunlich altväterisch, wenn nicht gar schulmeisterlich wirkt. Und es ist auch beim weiteren Hören nicht so, dass «Simple Songs» nun eine neue Offenbarung darstellen würde. Vielmehr ist auf diesem Album ein Songwriter zu hören, der seiner Liebe zu den Arrangements und Amerika-Fantasien von Van Dyke Parks nachgeht. Die Bläser, die Streicher, O’Rourkes Gitarren und seine lange nicht mehr gehörte Stimme: Alles erklingt makellos, bewundernswert sorgfältig und klar und nur ganz selten zu dick aufgetragen. Jim O’Rourke hat sich mit dieser Platte zu einem Hüter der Popklassik entwickelt, der die Stream-Gegenwart mit einem genau gearbeiteten Songalbum (das weder auf Spotify noch via ITunes erhältlich ist) konfrontiert. Aber das Abenteuer, das seine Biografie und andere seiner gegenwärtigen Arbeiten durchzieht, das findet an anderen Orten statt. Und das darf man schon bedauern.
Jim O'Rourke: «Simple Songs» (Drag City)