Ja, Panik: «Libertatia»
Selten ging einem ein Album so ans Lebendige wie «DMD KIU LIDT» der Gruppe Ja, Panik. Die Freunde der Angst um den Texter, Sänger und Gitarristen Andreas Spechtl wagten sich mit ihrer «Depressionsoper» nahe an den Abgrund, so nah, dass die Stille, die das Album beendete, dringend benötigt wurde. Das war vor drei Jahren.
Nun erschien im Januar der Nachfolger «Libertatia», und nach der versuchten Sprengung des Weltsystems sind Ja, Panik nicht mehr zu fünft, sondern nur noch zu dritt: Gitarrist Thomas Schleicher, der «Anarchist» der Band, und Keyboarder Christian Treppo verliessen die Gang, und man wechselte auch den Produzenten Moses Schneider aus – und entschied sich für Tobias Levin, der seinerzeit bereits Tocotronic oder Kante in die Pop-Schwerelosigkeit geschickt hat.
Scheinbar schwerelos schweben nun auch Ja, Panik – «not sans papier, but sans patrie» – in Richtung Utopia, das hier Libertatia heisst. Hier, in dieser anarchistischen Piraten-Utopie, die irgendwo an der Küste Madagaskars existiert haben soll, macht das Aufbrausende, das Stürmische aus früheren Tagen einem eleganten Pop-Entwurf Platz. Spechtl umtänzelt und schüttelt derweil zart die Polizei und die Europäische Zentralbank, oszilliert «between Thunder and Blitz», während im Love-Song «ACAB» das Bombing-Kürzel zu «All cats are beautiful» umgemünzt wird. Doch natürlich: «Wenn wir ’All Cats Are Beautiful’ singen, bedeutet es trotzdem auch ’All Cops Are Bastards’», sagte Andreas Spechtl dem österreichischen Magazin «The Gap».
Genau in dieser Vieldeutigkeit liegt das Schillernde des zunächst so harmlosen «Libertatia», das in den niedergeschlagenen, doch trostspendenden Liedern wie «Post Shakey Time Sadness» und «Alles leer» die schönsten Momente hat. Und wenn am Schluss dieses Reisealbums die madagassische Hauptstadt Antananarivo erreicht wird und «die Highways wirklich in den Wolken hängen», dann ist die Losung aus dem zwingenden Eröffnungsgospel eingelöst: «One world, one love: Libertatia».
Ja, Panik: «Libertatia» (Staatsakt) Live: 25.4., Palace, St. Gallen. Dieser Text ist ursprünglich für das «Bund»-Kulturblog KulturStattBern entstanden.
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