ANOHNI: «Hopelessness»
Hier, der angekündigte Blockbuster des Monats: ANOHNIS apokalyptisches «Hopelessness». Wie hört es sich an? Die Track-für-Track-First-Listen-Kritik.
1. «Drone Bomb Me»
Natürlich, das ist bereits bekannt. Doch diese hellen Synths, der angekündigte Drop, der dann doch nicht so ausfällt, wie man ihn erwartet, sondern erst mal gänzlich ausfällt, weil Anohnis Stimme sehnsüchtig die Drohne anhimmelt, die ihr den Kopf zerschmettern soll, das ist unerhört. «Let me be the one that you choose tonight», was für ein schreckliches Liebeslied in Zeiten des Drohnenkriegs.
2. «4 Degrees»
Es geht atemlos weiter, weil die Klimakatastrophe ist da, auch wenn es nur 4 Grad sind, featuring TNGHT-Trompeten, weil wie bekannt sein dürfte, Hudson Mohawke gemeinsam mit Oneohtrix Point Never für die Produktion verantwortlich zeichnete. Und einmal mehr: Die Sängerin schlüpft in die Rolle der Klimaerwärmungsleugnerin, weil hei, es sind ja nur 4 Grad, und eigentlich ist es ja noch geil, «all those rhinos and all those big mammals» zu beobachten, wie sie elend untergehen. Wäre auch das nicht so aufrüttelnd und beängstigend, dann wäre ich begeistert.
3. «Watch Me»
So gehts natürlich nicht weiter, deshalb, ein zunächst wärmend erscheinender Song, doch elend ist auch das. Weil der allumfassende Schutz des Vaters, der hier besungen wird, hat eben auch eine allumfassende Überwachung zur Folge: «I know you love me // ‘Cause you’re always watching me». Die Sounds verlieren sich im leeren, Daddy frisst alles auf.
4. «Execution»
Das schönste Wort der Welt? «Execution»! Jedenfalls meint man das, wie es hier Anohni intoniert, und dann anfügt: «it's an American dream». Die Sounds sind hell, der Beat leicht, ein traumhaftes Lied, das eigentlich eine Stadionhymne ist, und am Schluss singen alle mit: «Execution»! Natürlich: Die Formel ist nun verstanden – das Elend mit Liebesliedern zu besingen – aber es ist schon immer noch sehr gut.
5. «I Don't Love You Anymore»
Für einmal ein privater Breakup-Song, der ohne Weltend-Überbau auskommt. Die Oneohtrix-Kirchenorgel dräut im Hintergrund, die Drumsounds sind reichlich unheimlich, aber: Vor sagen wir mal sechs Jahren, als Anohni noch Antony Hegarty war, wäre das eine Pianoballade gewesen.
6. «Obama»
Die Amtszeit ist bald zu Ende, und Anohni rechnet ab mit Obama. Beispielsweise so: «Punishing the whistle blowers // Those who tell the truth // Do you recognize the yellow // staring back at you?». Wie sie hier mit ihrer tiefstmöglichen Stimme den Nachnamen zerdehnt, wirkt, als möchte sie den Präsidenten mit einem Fluch belegen. Das jüngste Gericht, es richtet auch über Obama.
7. «Violent Men»
Ein Oneohtrix-Point-Never-Lied, wie unschwer zu hören ist, mit all den Glitches- und Clip-Sounds – mit wenigen Zeilen: «We will never never again // Give birth to violent men.»
8. «Why Did You Separate Me from the Earth»
Wieder hell, wieder mehr Hudson Mohawke, Zeit, sich für den Menschen an Gott zu wenden. Weil, wieso hast Du das überhaupt zugelassen, all diese Katastrophen, das zugemüllte Meer, die brennenden Wälder auf Borneo? Wieso hast Du mich so von der Erde entfremdet? Nun, ich will Deine Zukunft nicht, oh Lord.
9. «Crisis»
Auch wieder so ein schönes Lied mit einem sehr schönen Wort: «Crisis». Und dann gleich die Zeile: «If I killed your father with a drone bomb how would you feel?» Natürlich auch: Guantanamo, Massengräber, und dann die Bitte um Vergebung mit einem vielfach wiederholten: «I'm sorry». Aber: So einfach kommt die Bittstellerin nicht davon, nein, auch wenn der Song sehr cheasy endet.
10. «Hopelessness»
Das Mantra dieses Albums ist natürlich das titelgebende Wort: «Hopelessness»! Zunächst ist das Lied sehr unkonkret, dann aber wird das zu einem Gospel – vielleicht, und das ist ja die Hoffnung, die von diesem Album ausgeht, kann dieser Zustand, besser: der Virus der Hoffnungslosigkeit, die einem ob allem Elend befällt, überwunden und besiegt werden. Aber: Bald ist es zu spät.
11. «Marrow»
Ein Reiselied zum Schluss: Die USA haben Länder und Kontinente ausgesogen und unter Kontrolle gebracht – «Africa, Iceland, Europe and Brazil, China, Thailand, India and Great Britain, Australia, Borneo and Nigeria» – und so endet das hier ziemlich plakativ mit der Feststellung: «We are all Americans now». Eigentlich schade, dass hier zum Ende eines grossen Albums vereinfachender Antiamerikanismus zelebriert wird.
«Hopelessness» von ANOHNI erscheint am 6. Mai via Rough Trade und Secretly Canadian. Anohni live: 1. Juli, Montreux Jazz Festival.
Jetzt aber endlich die ausführlichen Artikel lesen, die ich aus Angst vor Spoilern aufgespart habe. Hier:
«Cruel Optimism»: Hua Hsu im «New Yorker»
«Anohni at Boiling Point»: Ruth Saxelby im «Fader»
«Anohni, the artist once known as Antony Hegarty, on life beyond the Johnsons»: Der Text aus dem «Guardian»
Am Kiosk: Die «Spex» mit einer Anohni-Titelgeschichte, weil «Hope Is Dope», to be continued bzw. von vorne beginnen.