55 Jahreslieder (3/5)

Bildschirmfoto-2016-11-29-um-20.43.08 Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

Am heutigen Putztag sollst Du büzlä und den Dreck in die Welt hinaus schütteln – und weitere 11 Lieder aus der Jukebox des Jahres anspielen.

Kevin Morby: «Singing Saw»

Die Kojoten lachen ihn aus, als er vom Berg heruntersteigt, er, der ein Songbook in seinem Kopf hat, während die singende Säge Bäume fällt. Und so klingt denn der Titelsong zunächst mal nach sehr altem Liedgut, aber wie dies aufgenommen ist, und wie der Chor und die Instrumente geistern, das ist dann eben doch sehr gegenwärtig. Zudem: Ein Livefavorit des Jahres (die Band, die Band!)

Car Seat Headrest: «Vincent»

Das, was ich im Frühjahr geschrieben habe (und noch immer habe ich das Album «Teens of Denial» nur einmal rasch durchgehört, bis zum hoffentlich besseren Frühlingskonzert reicht die Zeit aber noch):

«Dass es bei Will Toledo nach der Songsammlung 'Teens of Style' so furios weitergeht, habe ich natürlich nicht erwartet. Denn 'Vincent' ist viel mehr als das 'vor- oder auch vorvorletzte Lied' der Musik, die wir einst Indie nannten. Nämlich das: ein lustig-zwingender Bericht über eine Party, an der sich ein bleicher und unsicherer junger Mann wie Toledo natürlich nicht besonders wohl fühlt bzw. viel lieber heim gehen würde als sich noch einen weiteren sinnlosen Drink zu genehmigen. Für NPR hat Toledo den Text annotiert, der dort anknüpft, wo Songs wie 'Los Borrachos (I Don't Have Any Hope Left, But the Weather Is Nice)' aufhören, während die Musik nun merklich zugespitzt ist: Hier ist keine zelebrierte Slackerhaftigkeit mehr zu hören, sondern ein Intro, das zunächst die Glenn-Branca-Spur abfährt, ehe der Song wie eine Krawall-Version von – sagen wir mal – Cake klingt. Kurz, now I'm silent at last, ausser, dass die originale 8-Minuten-Version viel besser ist als der Radio Edit und das Video. So gut.»

Solange: «Don't Touch My Hair»

Dies ist ein Song gegen jegliche kulturelle Aneignungen, gegen Grenzüberschreitungen der unschönen Art, gegen mitfühlendes Verständnis, wenn es nur falsch wirkt. Weil, wie Solange Knowles in diesem Song singt: «They don't understand what it means to me.»

Junior Boys: «Over It»

Die Zeichen stehen auf Trennung, doch wohl denen, die ein solch zärtliches Break-Up-Lied schreiben, zu dem überdies noch eng umschlungen getanzt werden kann. Ansonsten: Direkt weitergehen zu «Kiss Me All Night».

Dachs: «Büzlä»

In St. Gallen schneit es, heisst es in einem anderen Lied des Duos. Und es scheint schon so, dass die Winter im Osten härter sind, so dass man sich gerne in Bandräumen verkriecht, um eigenartige und doch sehr träfe Lieder zur Lage des Landes aufzunehmen. «Büzlä» ist ein solches – mit Zeilen wie «Mir baued üs ä Heckä, mir luäged nöd um dä Eggä, mir baued üs ä Gstell, döt werded Bäsä anegstellt, zum go büzlä» und einem Refrain, den auch Kleinkinder schnell nachsingen können. Und: Ein Clip des Jahres.

Chris Cohen: «In a Fable»

Chris Cohen erfindet ausgetüftelte Lieder mit psychedelischem und melancholischem Einschlag, die sehr vertraut anmuten und ihren im besten Sinne heimlifeissen Charakter erst nach und nach entdecken. «In a Fable» ist eines der schönsten.

Frankie Cosmos: «What If»

Auch Greta Kline neigt nicht zu grossen Gesten, denn ihre Form ist die Miniatur. «What If» ist einer der längeren Songs aus ihrem Abschied-vom-Teenagerdasein-Katalog und einer der rührendsten, weil: «When you're young, you're too young / when you're old, you're too old».

Danny Brown: «Really Doe»

Die Klasse des Jahres versammelt sich in diesem Monstertrack, in dem Lieblingsrapper Earl Sweatshirt das letzte Wort hat. Und was für eines.

Portishead: «SOS»

Diese Angstverversion des Abba-Hits geisterte bereits im Frühling im Netz herum. Portishead veröffentlichten «SOS» dann nach dem erschütternden Mord an Jo Cox und einen Tag vor dem Brexit-Referendum – und schliessen den Clip mit ihrem Zitat: «We have far more in common than that which divides us.» Hoffentlich hört da jemand diesen Appell, auch wenn es derzeit ganz und gar nicht so scheint.

Joe Volk: «Soliloquy»

Die gute Bern-Bristol-Verbindung wird immer stabiler – auch dank Joe Volk, der im Frühjahr sein Album «Happenings and Killings» veröffentlicht hat. «Soliloquy» war die erste Single, und es ist sicherlich das offene Lied, das lange überdauern wird.

Lord Kesseli & The Drums: «Arnold»

Das ist kein Witz, den die zwei St. Galler Weihrauchfanatiker auf ihrer Debüt-EP und in ihren Gruft-Shows erzählen. Denn das ist verstrahlter Rock, der «full of love» und «full of hope» ist, wie sie in «Arnold» singen (der Song startet in diesem Film von Thomas Kuratli alias Pyrit ab Minute 4:30). Und so überwinden der Lord und sein Komplize alles, zum Glück.

Die ersten Jahreslieder

Die zweiten Jahreslieder


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