Flying Saucer Attack: «Instrumentals 2015»
David Pearce war 15 Jahre untergetaucht, nun hat er eine neue, instrumentale Platte unter seinem Alias Flying Saucer Attack eingespielt. Zeit für eine Neuentdeckung.
Diese Schallwellen kommen aus dem unheimlichen Irgendwo, eines, das nicht näher markiert ist. Man fühlt sich beschattet, schaut rauf in Richtung Nachthimmel, ob da nicht ein unidentifiziertes Flugobjekt zu erkennen ist. Und auch wenn man nichts sieht: ja, so könnte es sich anhören, wenn sich Ausserirdische in fliegenden Untertassen der Erde nähern und ihr Ankommen mit Sound ankündigen. 58 Sekunden dauert dieser Spuk, die Wellen ebben ab, man bleibt alleine zurück im weiten Feld der träumenden Niedergeschlagenheit – und lauscht mit weitoffenen Antennen weiter.
Die Schallwellen sind die Space-Fantasien von David Pearce, einem dieser wenig beschriebenen Enigmen der jüngeren britischen Popmusikgeschichte, der mit seiner Platte «Instrumentals 2015» diesen Sommer unverhofft zurückgekehrt ist. Die 15 Tracks tragen keine Namen, nur Nummern und verweigern sich dem Fassbaren, auch weil Pearce selbst in Interviews nicht über seine neue Musik als Flying Saucer Attack sprechen will. Diese solitären, auf Tonband aufgenommenen Gitarrentonspuren sind von der Gegenwart, von Zeit und Raum abgekoppelt. Es sind die ersten Tracks von Pearce seit 15 Jahren.
Wenn die Gegenwart kaum Anhaltspunkte gibt, führen die Spuren beinahe zwangsläufig zurück. Zurück in die späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre, als sich in Bristol eine kleine Komplizenschaft gebildet und in verschiedenen Formationen seltsam träumende Musik erschaffen hat. Zentrum dieses Freundeskreises war der Plattenladen Revolver Records, wo David Pearce wie auch sein Freund Matt Elliott arbeiteten, einem Laden, der jüngst im Buch «Original Rockers» des britischen Musikjournalisten und Autors Richard King verewigt wurde. Movietone, Crescent, Third Eye Foundation oder eben Flying Saucer Attack hiessen die losen Combos, die von diesen Träumern und Einzelgängern gegründet wurden. Streng analog war ihr Equipment: Aufgenommen wurde, zumal bei Pearce, dessen Werk von einer strengen Tape-Ästhetik geprägt ist, mit einem Vierspur-Kassettengerät. Und als Tonstudios dienten die Schlafzimmer. So fanden – je nach Konstellation – freier Noise, Anti-Rock, beängstigender Industrial oder fragiler Dreampop auf die Tonbänder.
«This was my Punk Rock Awakening», erinnerte sich der vor einem Jahr verstorbene Nick Talbot aka Gravenhurst in einem Artikel an den Moment, als er zum ersten Mal das Album «Chorus» von Flying Saucer Attack gehört hatte. «Ich konnte kaum glauben, dass dieses gloriose, ausserweltliche Lofi-Tape-Rauschen auf Vinyl gepresst und in Plattenläden verkauft wurde.» Für Talbot, der sich damals in der westenglischen Stadt niederliess, schrieben so nicht Massive Attack, Portishead, Tricky oder Danceproduzenten den Soundtrack von Bristol, sondern diese versprengten Autodidakten, die dank John Peel und dem damals neuen Label Domino scheu in die Welt fanden.
Und zuweilen auf die grossen Festivals wie dem Reading Festival im Jahr 1995. Talbot schrieb: «Während die Smashing Pumpkins auf der Hauptbühne spielten, kreierten FSA auf der anderen Seite des Geländes, beinahe auf einem anderen Planeten, einen überirdischen Lärm.» Ein Lärm, aus dem sich oftmals wunderbare Melodien herausschälen, die es Pearce erlauben, seine zarte, melancholische Stimme zu erheben. Nachzuhören ist dies etwa auf der Platte «New Lands» (1997), die Pearce eigentlich «Fuck You» nennen wollte, weil die Zeiten damals schwierig für ihn waren. Es ist eine verzerrte Musik, die zu Unrecht mit Shoegazebands wie My Bloody Valentine verglichen wird, denn die Ästhetik des Noises von Pearce ist fragiler und weniger überwältigend, und, wenn man so will, offener und faszinierender.
Diese Gitarren-Noises und –Meditationen sind auf den «Instrumentals 2015» wieder zu hören. Einer Platte, die dazu beiträgt, dass Pearces Werk und dasjenige seiner Komplizen neuentdeckt werden kann. Das «Wire»-Magazin erzählte im grossen Artikel mit dem treffenden Titel «Bristol UFOs» die Geschichte dieser Gleichgesinnten, die zur Jahrtausendwende nach und nach untergetaucht sind – und die nun, scheinbar aus dem Nichts, wieder zurückkehren. Derweil hat das Onlinemagazin «Fact» einen «Beginner’s Guide» zusammengestellt, der mit fünfzig Tracks und Songs das vielgestaltige Werk dieses Kollektivs beleuchtet. Wer sich das gibt, dem öffnen sich die Pforten der Wahrnehmung – und glaubt, fliegende Untertassen auszumachen. Denn die Ausserirdischen, sie sind unter uns.
Flying Saucer Attack: «Instrumentals 2015» (Domino)
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