Rewire Rewind

FullSizeRender Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

Vereinzeltes, kollektives, gespenstisches und tanzendes: Das Rewire Festival 2016 in Den Haag.

Lokales

Den Haag ist eigentlich keine zwingende Destination für längere Aufenthalte, aber für ein Festival wie das Rewire ist eine solche Stadt ideal, weil übersichtlich und stressfrei. Als Tagesbeschäftigungen empfehlen sich Strandaufenthalte mitsamt groteskem James-Bond-Bösewicht-Turm in Scheveningen oder das Beobachten von Donald-Trump-Wiedergängern im Eiskaffee Florencia – ehe es am frühen Abend in die Kirchen und Clubs und Theater, wo die Konzerte und Performances stattfinden, geht. Zudem: Sehr moderate Preise für Bier und Billets (der Dreitagespass kostete um die 60 Euros) und ideale Zugsverbindungen für Nicht(gerne)-Flieger wie mich.

Solitäres aus der Postdigital-Ära

Electronica-Artisten und -Artistinnen, Klangkünstler und Komponistinnen und natürlich DJs prägten das Line-Up des Rewire. Denn es arbeitet sich halt gegenwärtig besser alleine am Laptop oder anderen Geräuschkästen als mit einer Band. Sei dies nun Jlin, die am Freitag ihre weitergehenden Footwork-Sounds loskickte, sei dies Ash Koosha, der zwischen Dilla-Beats und postdigitalen Oberflächen leider zu unentschlossen vermittelte (allenfalls lag das auch am Soundsystem im kleinen Saal des Hauptortes Paard van Troje, das eher für Rockacts als für so genau gearbeitete und physische Sounds geeignet schien). Es ging auch ganz analog wie bei Kaitlyn Aurelia Smith und ihren Modular-Synthie-Songs, One-Man-Band-mässig wie bei der grossartigen Emily Wells, die begleitet wurde von Lonely-TänzerInnen auf der Leinwand, intim wie bei Colleen, deren Loops nach längerer Live-Pause noch nicht punktgenau waren (sicherlich aber heute in Bern!) – oder wie bei Anna Meredith, die ihre am Laptop komponierten Tracks zurück in ein offenes Bandkonzept schickte. Das war dann maximal und überladen mitsamt Tuba-Spieler und einem Prog-Rock-Gitarristen, und eine fröhliche Zumutung. Wohin diese Vereinzelung aber mündet? Ich weiss es nach diesen drei Tagen nicht genau.

Kollektives

Das kollektive Musizieren ist aber natürlich nicht tot oder ein vergangenes Phänomen. Denn zwei der bleibendsten Auftritte waren am Rewire Gruppenangelegenheiten. Da war am Freitag das Aufeinandertreffen von James Holden und Maalem Houssam Guinia und seiner tanzenden Gefährtschaft. Gemeinsam spielten sie eine Gnawa-Musik zum, ja, fröhlichen Mitklatschen, die der so zurückhaltende wie auch effektive Holden mit seinen (Dudelsack-)Sounds und Beats um eine dronehafte Dimension erweiterte. Kurz, grossartig – zumal ich dank dem Festival die wunderbare EP «Marhaba» von Holden, Floating Points und dem verstorbenen Vater von Maalem Houssam entdeckt habe.

12512784 1065711393468075 5489072778375529245 n Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

Und dann war natürlich der Auftritt des Animal Collective – mein erster Hinreisegrund. Nach dem kommunen Live-Setting der «Centipede HZ»-Konzertreise bauen Avey Tare, Panda Bear und Geologist wieder voll auf Elektronik, ergänzt um den mir zu Beginn viel zu dominanten Drummer Jeremy Hyman (Boredoms Boadrum, Ponytail, Dan Deacon & Avey Tare's Slasher Flicks). Gemeinsam sangen sie vor allem Lieder der polarisierenden Platte «Painting With», die live gut funktionieren (auch das von mir sehr ungeliebte «Floridada») ergänzt um zwei fantastische «Feels»-Songs und dem ganz frühen «Alvin Row» und mehr. Natürlich: Zuweilen wünsche ich mir die frühen, unkontrollierten und offeneren Rabaukentage zurück, aber hier gibts noch immer keine Posen, keine Ranschmeisserei, nur neugierige Musik – ergänzt um eine sehr schöne Lichtshow. Eine Reise nach Stans am Freitag ist jedenfalls sehr sehr empfohlen.

Speaking of Stans: Eine weitere Formation, die auch an den Musiktagen aufspielt, ist das Norberto Lobo & João Lobo Sextet. War es Jazz? War es Rock? War es Impro-Gefrickel? Nun, es war alles, genau im richtigen Mass, zusammengehalten durch den den Bassisten und Gitarristen Norberto Lobo. Da ich den Battles nicht gerne zuschaue, so sehr ich ihre Musik auch mag, war es das aber auch schon von der Bandfront in diesen Tagen.

IMG 0170 Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

Never Went to Church...

... oder zumindest schon lange nicht mehr. Ein paar Konzerte fanden am Rewire aber in der Grote Kerk, dem Münster Den Haags statt. Und die waren zum fürchten. Denn gleich zum Festivalauftakt spielte das Stargaze Ensemble Mica Levis narkotischen und angstmachenden «Under the Skin»-Score. Auf der Leinwand frass Scarlett Johansson die Männer auf, während das Ensemble den spooky und sehr schwer zu spielenden Soundtrack in den Raum gespensterte. Ein unheimlicher Soundtrack beendete auch das Festival, denn Xiu Xiu spielten Angelo Badalamentis Tracks aus «Twin Peaks». Das war die grosse Klammer um das überhaupt sehr stimmig programmierte Festival. (Vor Xiu Xiu lud Blixa Bargeld mit Teho Teardo in der Kirche zur Sonntagsabendandacht, eine gute Predigt, zumal es einen Bierstand in der Kirche hatte).

Nightlife

Dann aber auch: Endlich mal wieder durch die Nacht tanzen, denn die DJ-Sets von Lena Willikens und Ben UFO waren immer zur richtigen Zeit überraschend und die Stimmung im Club sehr fröhlich und angenehm. Danach letzte Pommes Frites, so soll es wohl sein.

strand Benedikt Sartorius. Journalist und Popkulturist.

Zurück zum Blog

comments powered by Disqus